1. EinfĂŒhrung und Definition
Das Wort "Galle" stammt vom althochdeutschen "galla" ab und hat eine doppelte Bedeutung in der Medizin. Es bezeichnet sowohl ein Organ (die Gallenblase, lat. Vesica biliaris oder Vesica fellea) als auch eine KörperflĂŒssigkeit (die GallenflĂŒssigkeit oder Bile). Diese DualitĂ€t fĂŒhrt oft zu Verwirrung, ist aber essentiell fĂŒr das VerstĂ€ndnis dieses faszinierenden Systems.
Die Gallenblase als Organ
Die Gallenblase ist ein birnenförmiges, muskulĂ€res Hohlorgan, das anatomisch eng mit der Leber verbunden ist. Sie liegt in einer Vertiefung (Fossa vesicae biliaris) an der Unterseite der Leber, meist im rechten Oberbauch. Ihre Hauptaufgabe ist die Speicherung und Konzentrierung der von der Leber produzierten GallenflĂŒssigkeit. Die Gallenblase fungiert somit als Reservoir, das die kontinuierlich produzierte Galle sammelt und sie bei Bedarf â insbesondere wĂ€hrend der Nahrungsaufnahme â in konzentrierter Form in den DĂŒnndarm abgibt.
Die GallenflĂŒssigkeit
Die GallenflĂŒssigkeit ist eine komplexe, gelblich-grĂŒne bis brĂ€unliche KörperflĂŒssigkeit, die ausschlieĂlich von den Leberzellen (Hepatozyten) produziert wird. Pro Tag stellt die Leber eines erwachsenen Menschen etwa 600 bis 1000 Milliliter Galle her. Diese FlĂŒssigkeit ist nicht nur ein Verdauungssekret, sondern auch ein Ausscheidungsmedium fĂŒr zahlreiche Stoffwechselprodukte und körperfremde Substanzen.
2. Anatomie des Gallensystems
Das Gallensystem ist ein komplexes Netzwerk aus Organen und Gangsystemen, das die Produktion, Speicherung, Konzentrierung und AusschĂŒttung der Galle koordiniert. Es lĂ€sst sich in mehrere funktionelle und anatomische Einheiten unterteilen.
2.1 Die Gallenblase im Detail
Anatomie des Gallensystems mit Gallenblase, GallengÀngen und angrenzenden Organen
Makroskopischer Aufbau der Gallenblase
Fundus (Boden): Der breiteste und am weitesten distal gelegene Teil der Gallenblase. Der Fundus ragt oft ĂŒber den unteren Leberrand hinaus und kann bei VergröĂerung der Gallenblase durch die Bauchdecke tastbar werden. Bei der körperlichen Untersuchung projiziert sich der Fundus etwa auf den Punkt, wo der rechte Rippenbogenrand die AuĂenkante des geraden Bauchmuskels kreuzt.
Corpus (Körper): Der mittlere Hauptabschnitt der Gallenblase, der den gröĂten Teil des Volumens ausmacht. Der Corpus liegt in direktem Kontakt mit der LeberunterflĂ€che in der Gallenblasenfossa und ist teilweise vom Peritoneum ĂŒberzogen.
Collum (Hals): Der schmale, trichterförmige Teil, der sich zur GallengangsmĂŒndung hin verjĂŒngt. Im Bereich des Collums befindet sich hĂ€ufig eine Aussackung, die als Hartmann-Tasche bezeichnet wird. Diese anatomische Variante ist klinisch bedeutsam, da sich hier besonders hĂ€ufig Gallensteine einklemmen können.
Infundibulum: Der Ăbergangsbereich zwischen Collum und Ductus cysticus, der eine trichterförmige Erweiterung darstellt.
2.2 Das Gallengangsystem
Das Gallengangsystem ist ein verzweigtes Netzwerk von KanĂ€len, das die Galle von den kleinsten Produktionsorten in der Leber bis zum Zwölffingerdarm transportiert. Man unterscheidet intrahepatische (innerhalb der Leber) und extrahepatische (auĂerhalb der Leber) GallengĂ€nge.
Intrahepatische GallengÀnge
Canaliculi biliferi: Die kleinsten GallenkanÀlchen, die als mikroskopisch kleine Rinnen zwischen den Leberzellen verlaufen. Sie haben keinen eigenen Wandaufbau und werden lediglich durch spezialisierte Zellmembranbereiche der Hepatozyten begrenzt. Hier beginnt die Gallensammlung.
Ductuli biliferi (Hering-KanĂ€lchen): Die Canaliculi mĂŒnden in diese etwas gröĂeren KanĂ€lchen, die bereits eine eigene Wand aus Epithelzellen besitzen.
Ductus interlobulares: Diese GÀnge sammeln die Galle aus mehreren Hering-KanÀlchen und verlaufen in den Bindegewebssepten zwischen den LeberlÀppchen (zusammen mit PfortaderÀsten und LeberarterienÀsten als Trias hepatica).
Ductus segmentales und sectionales: Diese zunehmend gröĂeren GĂ€nge sammeln die Galle aus den verschiedenen Lebersegmenten und -sektionen.
Extrahepatische GallengÀnge
| Bezeichnung | Beschreibung | LĂ€nge |
|---|---|---|
| Ductus hepaticus dexter | Rechter Lebergang, drainiert die rechte LeberhÀlfte | 1-2 cm |
| Ductus hepaticus sinister | Linker Lebergang, drainiert die linke LeberhÀlfte | 1-2 cm |
| Ductus hepaticus communis | Gemeinsamer Lebergang, entsteht aus Vereinigung von rechtem und linkem Lebergang | 2-3 cm |
| Ductus cysticus | Gallenblasengang, verbindet Gallenblase mit dem Hauptgallengang. EnthÀlt die Spiralfalte (Heister-Klappe), die den Gallenfluss reguliert | 3-4 cm |
| Ductus choledochus | Hauptgallengang, entsteht aus Vereinigung von D. hepaticus communis und D. cysticus. VerlÀuft durch Pankreaskopf | 6-8 cm |
Die Papilla Vateri (Papilla duodeni major)
Am Ende des Ductus choledochus befindet sich die Papilla Vateri, eine warzenförmige Erhebung in der Wand des Zwölffingerdarms (etwa 10 cm hinter dem Magenpförtner). Hier mĂŒnden sowohl der Hauptgallengang als auch der BauchspeicheldrĂŒsengang (Ductus pancreaticus oder Wirsung-Gang). Die beiden GĂ€nge vereinigen sich kurz vor der MĂŒndung zur sogenannten Ampulla hepatopancreatica (Vater-Ampulle).
Der Eingang zur Papille wird durch einen ringförmigen SchlieĂmuskel kontrolliert, den Sphinkter Oddi (benannt nach dem italienischen Anatomen Ruggero Oddi). Dieser Muskel besteht eigentlich aus drei Teilen:
- Sphincter ductus choledochi: umgibt den distalen Gallengang
- Sphincter ductus pancreatici: umgibt den Pankreasgang
- Sphincter ampullae: umgibt die gemeinsame Ampulle
Der Sphinkter Oddi reguliert den Fluss von Galle und Pankreassaft in den Darm und verhindert gleichzeitig, dass Darminhalt in die GĂ€nge zurĂŒckflieĂt.
2.3 Topographische Anatomie und Nachbarschaftsbeziehungen
Die Lage der Gallenblase und ihre Beziehung zu benachbarten Strukturen ist klinisch Ă€uĂerst relevant:
- Kranial (oben): LeberunterflÀche (Lobus quadratus und teilweise Lobus dexter)
- Kaudal (unten): Querkolon (Colon transversum) und Duodenum
- Medial (zur Mitte): Duodenum und Pankreaskopf
- Lateral (auĂen): Rechte Bauchwand
- Dorsal (hinten): Rechte Niere (oberer Pol), Duodenum
Diese engen Nachbarschaftsbeziehungen erklĂ€ren, warum Gallenerkrankungen oft zu Symptomen in verschiedenen Bauchregionen fĂŒhren können. Beispielsweise kann eine entzĂŒndete Gallenblase Kontakt zum Querkolon aufnehmen und eine lokale Peritonitis verursachen, oder ein Gallenstein kann direkt in das Duodenum durchbrechen (Gallensteinileus).
3. Histologie - Der mikroskopische Aufbau
Die mikroskopische Struktur der Gallenblase unterscheidet sich deutlich von anderen Hohlorganen des Verdauungstrakts und ist perfekt an ihre Speicher- und Konzentrierungsfunktion angepasst.
3.1 Wandaufbau der Gallenblase
Die Gallenblasenwand besteht von innen nach auĂen aus folgenden Schichten:
Tunica mucosa (Schleimhaut)
Die Schleimhaut ist stark gefaltet und bildet ein charakteristisches Faltensystem (Plicae), das die OberflĂ€che erheblich vergröĂert. Diese Falten verschwinden bei gefĂŒllter Gallenblase teilweise. Das Epithel ist ein hochprismatisches einschichtiges Zylinderepithel mit folgenden Besonderheiten:
- Mikrovilli: Die Epithelzellen tragen an ihrer luminalen Seite zahlreiche Mikrovilli, die die resorbierende OberflĂ€che weiter vergröĂern
- Tight junctions: Dichte Zellverbindungen zwischen den Epithelzellen kontrollieren die parazellulÀre Passage von Wasser und Ionen
- Transportproteine: Spezialisierte Membranproteine ermöglichen den aktiven Transport von Wasser, Natrium, Chlorid und anderen Substanzen
- Schleimproduktion: Einzelne Becherzellen sezernieren Muzine zum Schutz der Schleimhaut
Eine Besonderheit der Gallenblasenschleimhaut ist das Fehlen einer Lamina muscularis mucosae (einer dĂŒnnen Muskelschicht, die in anderen Verdauungsorganen vorhanden ist) und einer Submukosa.
Tunica muscularis (Muskelschicht)
Die Muskelschicht besteht aus glattem Muskelgewebe, das in unregelmĂ€Ăigen, verflochtenen BĂŒndeln angeordnet ist â nicht in klar definierten Schichten wie im Darm. Diese Anordnung ermöglicht eine effektive, gleichmĂ€Ăige Kontraktion der gesamten Gallenblase. Die Muskelzellen sind reich an Mitochondrien, was auf ihre hohe AktivitĂ€t hinweist.
Tunica adventitia / Tunica serosa
Die Ă€uĂere Schicht unterscheidet sich je nach Region:
- An der Leberseite: Hier liegt nur eine Adventitia (Bindegewebsschicht) vor, die die Gallenblase fest mit der Leber verbindet
- An der freien OberflĂ€che: Hier ist die Gallenblase von einer Serosa (PeritonealĂŒberzug) bedeckt, was sie beweglicher macht
3.2 Rokitansky-Aschoff-Krypten
Ein bemerkenswertes histologisches Merkmal sind die Rokitansky-Aschoff-Sinus (oder -Krypten). Dies sind flaschenförmige EinstĂŒlpungen der Schleimhaut, die tief bis in die Muskelschicht reichen. Ihre Funktion ist nicht vollstĂ€ndig geklĂ€rt, aber sie könnten die OberflĂ€che vergröĂern und eine Rolle bei chronischen EntzĂŒndungen spielen, da sich hier Bakterien ansiedeln können.
3.3 Histologie der GallengÀnge
Die extrahepatischen GallengÀnge haben einen anderen mikroskopischen Aufbau als die Gallenblase:
- Epithel: Hochprismatisches Epithel, Àhnlich wie in der Gallenblase
- TubuloalveolĂ€re DrĂŒsen: In der Wand befinden sich SchleimdrĂŒsen, die Muzin produzieren
- Elastische Fasern: Die Wand enthĂ€lt reichlich elastische Fasern fĂŒr FlexibilitĂ€t
- Glatte Muskulatur: Besonders im distalen Choledochus und im Sphinkter Oddi ausgeprÀgt
4. Zusammensetzung der GallenflĂŒssigkeit
Die Galle ist keine einfache FlĂŒssigkeit, sondern ein komplexes Gemisch aus Wasser, Elektrolyten, organischen MolekĂŒlen und Abbauprodukten. Ihre Zusammensetzung Ă€ndert sich je nachdem, ob es sich um "Lebergalle" (frisch produziert) oder "Blasengalle" (in der Gallenblase konzentriert) handelt.
4.1 Vergleich: Lebergalle vs. Blasengalle
đŹ Lebergalle (hepatische Galle)
- Hellgelb, dĂŒnnflĂŒssig
- pH 7,5 - 8,0 (leicht alkalisch)
- 97% Wasser
- GallensÀuren: 3-45 mmol/l
- Kontinuierlich produziert
- FlieĂt direkt in den Darm bei offener Papille
đ Blasengalle (zystische Galle)
- DunkelgrĂŒn bis braun, zĂ€hflĂŒssig
- pH 7,0 - 7,4
- Nur noch ca. 90% Wasser
- GallensÀuren: bis zu 450 mmol/l (10x konzentriert!)
- In Gallenblase gespeichert
- Wird bei Bedarf ausgeschĂŒttet
4.2 Detaillierte Bestandteile der Galle
Wasser und Elektrolyte
Wasser macht den Hauptanteil aus und dient als Lösungsmittel fĂŒr alle anderen Komponenten. Die wichtigsten Elektrolyte sind:
- Natrium (Naâș): 130-165 mmol/l - Hauptkation
- Kalium (Kâș): 3-12 mmol/l
- Calcium (CaÂČâș): 1,5-8 mmol/l - wichtig fĂŒr Gallensteinbildung
- Chlorid (Clâ»): 80-120 mmol/l
- Bicarbonat (HCOââ»): 12-55 mmol/l - neutralisiert MagensĂ€ure
GallensÀuren und Gallensalze
GallensÀuren sind die funktionell wichtigsten Bestandteile der Galle. Sie entstehen in der Leber aus Cholesterin und machen etwa 67% der organischen Feststoffe aus. Es gibt primÀre und sekundÀre GallensÀuren:
PrimÀre GallensÀuren (in der Leber synthetisiert):
- CholsÀure (45%): Die hÀufigste GallensÀure
- ChenodesoxycholsÀure (31%): Die zweithÀufigste
Diese werden meist mit den AminosÀuren Glycin oder Taurin konjugiert (verbunden), wodurch sie zu Gallensalzen werden. Die Konjugation macht sie wasserlöslicher und verhindert ihre vorzeitige Reabsorption.
SekundÀre GallensÀuren (im Darm durch Bakterien gebildet):
- DesoxycholsÀure: aus CholsÀure durch bakterielle Enzyme
- LithocholsÀure: aus ChenodesoxycholsÀure
- UrsodesoxycholsÀure: wird medizinisch zur Steinauflösung genutzt
Die GallensĂ€uren haben eine einzigartige amphipathische Struktur (hydrophiler und hydrophober Teil), die sie zu idealen Emulgatoren macht. Sie ordnen sich an FettoberflĂ€chen an und bilden sogenannte Mizellen â kleine Fett-Tröpfchen, die in Wasser verteilt bleiben.
Bilirubin - Der Gallenfarbstoff
Bilirubin ist das Hauptabbauprodukt des HĂ€moglobins aus gealterten roten Blutkörperchen (Erythrozyten). TĂ€glich werden etwa 1-2% aller Erythrozyten abgebaut, was zu etwa 250-350 mg Bilirubin fĂŒhrt.
1. Indirektes (unkonjugiertes) Bilirubin
Entsteht beim Erythrozytenabbau in Milz, Leber und Knochenmark. Ist wasserunlöslich und wird an Albumin gebunden im Blut transportiert. Kann nicht mit dem Urin ausgeschieden werden.
2. Konjugation in der Leber
In den Leberzellen wird Bilirubin durch das Enzym UDP-Glucuronyltransferase mit GlucuronsÀure verbunden (konjugiert). Dadurch wird es wasserlöslich.
3. Direktes (konjugiertes) Bilirubin
Wird aktiv in die GallenkanÀlchen sezerniert und mit der Galle ausgeschieden. Verleiht der Galle ihre charakteristische Farbe.
4. Umwandlung im Darm
Darmbakterien wandeln Bilirubin in Urobilinogen und Stercobilin um. Stercobilin gibt dem Stuhl die braune Farbe. Ein kleiner Teil wird rĂŒckresorbiert (enterohepatischer Kreislauf).
Cholesterin
Cholesterin ist in der Galle in Konzentrationen von 3-15 mmol/l vorhanden. Es ist wasserunlöslich und wird durch GallensĂ€uren und Phospholipide in Lösung gehalten. Ein Ungleichgewicht zwischen Cholesterin und den lösungsvermittelnden Substanzen fĂŒhrt zur Bildung von Cholesterinsteinen (etwa 80% aller Gallensteine).
Phospholipide (Lecithin)
Phospholipide, hauptsÀchlich Phosphatidylcholin (Lecithin), machen etwa 22% der organischen Gallenbestandteile aus. Sie stabilisieren die Mizellen und helfen, Cholesterin in Lösung zu halten. Zusammen mit GallensÀuren verhindern sie die Cholesterin-Kristallisation.
Proteine und Enzyme
Die Galle enthÀlt verschiedene Proteine:
- Immunglobulin A (IgA): SchĂŒtzt vor Infektionen
- Muzin: SchĂŒtzt die Gallenwege und Gallenblase
- Alkalische Phosphatase: Enzym, dessen Erhöhung auf Gallenwegsobstruktion hinweist
- Albumin: In geringen Mengen vorhanden
Weitere Bestandteile
- Medikamente und deren Metabolite: Viele Arzneimittel werden ĂŒber die Galle ausgeschieden
- Schwermetalle: Kupfer, Zink (wichtig bei Morbus Wilson)
- Hormone und deren Abbauprodukte: z.B. Steroidhormone
- Bakterien: Normalerweise ist Galle steril, aber bei Infektionen können Bakterien vorhanden sein
5. Physiologie und Funktionen
Die Galle erfĂŒllt mehrere lebenswichtige Funktionen, die weit ĂŒber die bloĂe Fettverdauung hinausgehen. Sie ist ein multifunktionelles System, das Verdauung, Exkretion und Stoffwechsel vereint.
5.1 Fettverdauung und Emulgierung
Die Hauptfunktion der Galle ist die Vorbereitung von Nahrungsfetten fĂŒr die enzymatische Verdauung. Dieser Prozess lĂ€uft in mehreren Schritten ab:
Schritt 1: Mechanische Emulgierung
Wenn fetthaltige Nahrung den Zwölffingerdarm erreicht, werden groĂe Fetttropfen zunĂ€chst mechanisch durch Darmbewegungen in kleinere Tröpfchen zerteilt. Diese haben jedoch die Tendenz, wieder zusammenzuflieĂen (Koaleszenz).
Schritt 2: Chemische Emulgierung durch GallensÀuren
GallensĂ€uren lagern sich mit ihrem hydrophoben (fettliebenden) Teil an die FettoberflĂ€che und ragen mit ihrem hydrophilen (wasserliebenden) Teil ins wĂ€ssrige Medium. Dies verhindert das ZusammenflieĂen der Fetttröpfchen und verkleinert sie auf einen Durchmesser von etwa 0,5-1 ”m. Die OberflĂ€che der Fette wird dadurch um das 10.000-fache vergröĂert!
Schritt 3: Mizellbildung
GallensĂ€uren, Phospholipide und Cholesterin bilden gemischte Mizellen â kugelförmige Aggregate mit einem hydrophoben Kern und einer hydrophilen HĂŒlle. In diesen Mizellen werden die Verdauungsprodukte von Fetten (FettsĂ€uren, Monoglyceride, fettlösliche Vitamine) eingeschlossen und zur Darmschleimhaut transportiert.
Schritt 4: Enzymatische Verdauung
Die Pankreaslipase (Enzym aus der BauchspeicheldrĂŒse) kann nun an der enorm vergröĂerten FettoberflĂ€che ansetzen und die Fette in FettsĂ€uren und Monoglyceride spalten. Ohne Galle wĂŒrde dieser Prozess etwa 50-mal langsamer ablaufen!
5.2 Resorption fettlöslicher Vitamine
Die Vitamine A, D, E und K sind fettlöslich und können nur in Anwesenheit von Galle effizient aufgenommen werden:
| Vitamin | Funktion | Mangelfolgen ohne Galle |
|---|---|---|
| Vitamin A (Retinol) | Sehkraft, Hautgesundheit, Immunsystem | Nachtblindheit, trockene Haut, geschwÀchte Abwehr |
| Vitamin D (Calciferol) | Calcium-Stoffwechsel, Knochenaufbau | Osteoporose, Rachitis, MuskelschwÀche |
| Vitamin E (Tocopherol) | Antioxidans, Zellschutz | Neurologische Störungen, MuskelschwÀche |
| Vitamin K | Blutgerinnung, Knochenmetabolismus | Blutungsneigung, verzögerte Wundheilung |
Bei Gallenstauung oder nach Entfernung der Gallenblase ist besonders auf ausreichende Zufuhr dieser Vitamine zu achten, eventuell durch Supplemente in wasserlöslicher Form.
5.3 Exkretorische Funktion
Die Galle ist ein wichtiger Ausscheidungsweg fĂŒr viele Substanzen, die nicht ĂŒber die Nieren eliminiert werden können:
Bilirubin-Ausscheidung
TĂ€glich werden etwa 250-350 mg Bilirubin ĂŒber die Galle ausgeschieden. Dies ist der einzige Weg, um dieses Abbauprodukt des HĂ€moglobins loszuwerden. Bei Gallenstauung akkumuliert Bilirubin im Blut und fĂŒhrt zu Gelbsucht.
Cholesterin-Elimination
Die Galle ist der Hauptausscheidungsweg fĂŒr ĂŒberschĂŒssiges Cholesterin. TĂ€glich werden etwa 1-2 g Cholesterin ĂŒber die Galle ausgeschieden â entweder als freies Cholesterin oder nach Umwandlung zu GallensĂ€uren.
Medikamente und Xenobiotika
Viele Arzneimittel und körperfremde Substanzen (Xenobiotika) werden in der Leber verstoffwechselt und ĂŒber die Galle ausgeschieden:
- Antibiotika (z.B. Rifampicin, Erythromycin)
- Kontrastmittel fĂŒr bildgebende Verfahren
- Sexualhormone und deren Metaboliten
- Schwermetalle (Kupfer, Quecksilber)
- Umwelttoxine und Pestizide
Endogene Substanzen
- Steroidhormone (Ăstrogene, Kortikosteroide)
- SchilddrĂŒsenhormone
- Immunglobuline
5.4 Neutralisation der MagensÀure
Der Speisebrei (Chymus), der aus dem Magen in den Zwölffingerdarm gelangt, ist stark sauer (pH 1-3). Die Galle enthĂ€lt reichlich Bicarbonat (HCOââ»), das zusammen mit Pankreassekret den pH-Wert auf 6-7 anhebt. Dies ist essentiell, weil:
- Pankreaslipase und andere Verdauungsenzyme im DĂŒnndarm nur bei neutralem bis leicht alkalischem pH optimal arbeiten
- Die Darmschleimhaut vor SĂ€ureschĂ€den geschĂŒtzt wird
- GallensĂ€uren bei niedrigem pH ausfallen wĂŒrden
5.5 Antimikrobielle Wirkung
Galle hat eine natĂŒrliche antimikrobielle Wirkung, die hilft, das bakterielle Wachstum im oberen DĂŒnndarm zu kontrollieren:
- GallensÀuren schÀdigen bakterielle Zellmembranen
- IgA in der Galle bietet immunologischen Schutz
- Der Gallenfluss spĂŒlt Bakterien mechanisch aus den Gallenwegen
Bei Gallenstauung kann es daher zu bakterieller Ăberwucherung und aufsteigenden Infektionen kommen (Cholangitis).
5.6 Stimulation der DarmmotilitÀt
GallensĂ€uren stimulieren die Darmbewegungen (Peristaltik) und fördern so den Transport des Speisebreis. Sie haben auch eine leicht laxierende (abfĂŒhrende) Wirkung. Bei Gallemangel kann es zu Verstopfung kommen, bei ĂŒbermĂ€Ăigem Gallefluss in den Dickdarm (z.B. nach Gallenblasenentfernung) zu Durchfall.
6. Der enterohepatische Kreislauf
Einer der faszinierendsten Aspekte der Gallenphysiologie ist der enterohepatische Kreislauf â ein hocheffizienter Recyclingmechanismus fĂŒr GallensĂ€uren. Dieser Kreislauf ist ein Paradebeispiel fĂŒr die Ăkonomie biologischer Systeme.
6.1 Ablauf des enterohepatischen Kreislaufs
Schritt 1: Sekretion in den Darm
Die Leber sezerniert tĂ€glich 20-30 g GallensĂ€uren in die Galle. Diese gelangen ĂŒber die Gallenwege in den Zwölffingerdarm, wo sie ihre Verdauungsfunktion ausĂŒben.
Schritt 2: Passive und aktive Reabsorption
Entlang des gesamten DĂŒnndarms erfolgt eine passive Reabsorption von etwa 5% der GallensĂ€uren. Der GroĂteil (etwa 95%) wird jedoch im terminalen Ileum (letzter Abschnitt des DĂŒnndarms) aktiv rĂŒckresorbiert. Dort befinden sich spezielle Transporter:
- ASBT (Apical Sodium-dependent Bile Acid Transporter): Nimmt GallensÀuren an der Darmseite auf
- IBABP (Ileal Bile Acid Binding Protein): Transportiert sie durch die Zelle
- OSTα/ÎČ (Organic Solute Transporter): Gibt sie ins Blut ab
Schritt 3: Transport ĂŒber die Pfortader
Die reabsorbierten GallensĂ€uren (18-28 g/Tag) gelangen ĂŒber die Pfortader zurĂŒck zur Leber. Im Blut sind sie an Albumin gebunden.
Schritt 4: Hepatische Wiederaufnahme
Die Leber extrahiert die GallensÀuren mit einer Effizienz von etwa 90% beim ersten Durchgang (First-Pass-Effekt). Dies geschieht durch spezielle Transporter an den Hepatozyten:
- NTCP (Natrium-Taurocholat-Cotransporting-Polypeptid): Haupttransporter fĂŒr konjugierte GallensĂ€uren
- OATPs (Organic Anion Transporting Polypeptides): FĂŒr unkonjugierte und konjugierte GallensĂ€uren
Schritt 5: Re-Sekretion
Die aufgenommenen GallensĂ€uren werden wieder in die GallenkanĂ€lchen sezerniert und stehen fĂŒr den nĂ€chsten Zyklus zur VerfĂŒgung. Jede GallensĂ€ure durchlĂ€uft den enterohepatischen Kreislauf 4-12 Mal pro Tag, bevor sie ausgeschieden wird.
6.2 Bedeutung und Effizienz
Die Effizienz des enterohepatischen Kreislaufs liegt bei etwa 95%. Nur 0,5 g GallensĂ€uren gehen tĂ€glich ĂŒber den Stuhl verloren. Diese mĂŒssen durch Neusynthese aus Cholesterin ersetzt werden.
6.3 Klinische Relevanz
Unterbrechung des Kreislaufs
Verschiedene Faktoren können den enterohepatischen Kreislauf stören:
- Ileale Resektion: Bei chirurgischer Entfernung des terminalen Ileums (z.B. bei Morbus Crohn) geht der Hauptreabsorptionsort verloren. Folge: GallensÀurenverlust mit Fettverdauungsstörungen und Durchfall
- GallensÀurebinder: Medikamente wie Cholestyramin binden GallensÀuren im Darm und verhindern ihre Reabsorption. Dies wird therapeutisch genutzt zur Cholesterinsenkung
- Bakterielle Ăberwucherung: Bakterien können GallensĂ€uren vorzeitig dekonjugieren, wodurch ihre Reabsorption im Ileum beeintrĂ€chtigt wird
GallensÀuren-Durchfall
Wenn zu viele GallensĂ€uren in den Dickdarm gelangen (bei Malabsorption oder nach Gallenblasenentfernung), stimulieren sie die Wasser- und Elektrolytsekretion im Kolon. Dies fĂŒhrt zu wĂ€ssrigem Durchfall, der charakteristischerweise nach den Mahlzeiten auftritt.
7. HĂ€ufige Erkrankungen der Gallenwege
Die Gallenwege und die Gallenblase können von verschiedenen Erkrankungen betroffen sein, die von harmlosen Funktionsstörungen bis zu lebensbedrohlichen ZustÀnden reichen. Im Folgenden werden die wichtigsten Krankheitsbilder detailliert dargestellt.
7.1 Gallensteine (Cholelithiasis)
Gallensteine sind die hÀufigste Erkrankung der Gallenwege. In Deutschland haben etwa 15-20% der Erwachsenen Gallensteine, wobei Frauen etwa doppelt so hÀufig betroffen sind wie MÀnner.
Arten von Gallensteinen
| Steintyp | HĂ€ufigkeit | Zusammensetzung | Aussehen | Risikofaktoren |
|---|---|---|---|---|
| Cholesterin-steine | 70-80% | >70% Cholesterin | Gelb-grĂŒn, glatt oder facettiert | Ăbergewicht, fettreiche ErnĂ€hrung, weiblich, Schwangerschaft |
| Pigment-steine (schwarz) | 10-15% | Bilirubinpolymer, Calcium | Schwarz, spröde, klein | HÀmolyse, Leberzirrhose, Alter |
| Pigment-steine (braun) | 5-10% | Calciumbilirubinat, FettsÀuren | Braun, weich, bröckelig | Bakterielle Infektionen, Gallengangsstase |
| Mischsteine | 5-10% | Cholesterin + Pigmente + Calcium | Variabel | Kombination der oben genannten |
Die "6 F-Regel" fĂŒr Risikofaktoren
- Female (weiblich) â 2-3x höheres Risiko
- Forty (um die 40 Jahre) â HĂ€ufigkeitsgipfel 40-60 Jahre
- Fat (ĂŒbergewichtig) â BMI >30 verdoppelt das Risiko
- Fair (hellhĂ€utig) â höheres Risiko bei NordeuropĂ€ern
- Fertile (fruchtbar/Schwangerschaften) â Ăstrogen erhöht Cholesterinsekretion
- Family (familiĂ€re Belastung) â genetische Faktoren spielen eine Rolle
Pathophysiologie der Cholesterinsteinbildung
Die Bildung von Cholesterinsteinen erfolgt in drei Phasen:
Phase 1: ĂbersĂ€ttigung der Galle
Normal ist Cholesterin in Mizellen mit GallensĂ€uren und Phospholipiden gelöst. Bei Ăberschuss von Cholesterin oder Mangel an GallensĂ€uren wird die Galle lithogen (steinbildend). Dies kann entstehen durch:
- Erhöhte Cholesterinsekretion (Ăbergewicht, fettreiche ErnĂ€hrung)
- Verminderte GallensÀurensynthese (Leberfunktionsstörungen)
- Erhöhter GallensÀurenverlust (Ileumresektion)
Phase 2: Nukleation
Cholesterinkristalle beginnen sich zu bilden. Normalerweise verhindern Proteine in der Galle (z.B. Apolipoprotein A1) die Kristallisation. Bei Störung dieser Schutzfaktoren oder Anwesenheit von pronukleierenden Faktoren (Muzin) kommt es zur Kristallbildung.
Phase 3: Steinwachstum
Die Kristalle lagern sich zusammen und wachsen zu Steinen. Förderlich sind:
- Stase (verlangsamte Gallenentleerung)
- HypomotilitÀt der Gallenblase
- Chronische EntzĂŒndung
Symptome und Komplikationen
Asymptomatische Steine: 60-80% der Gallensteine verursachen nie Symptome und werden oft zufÀllig bei Ultraschalluntersuchungen entdeckt.
Symptomatische Cholelithiasis: Wenn Steine Beschwerden verursachen, typischerweise durch:
- Gallenkolik: Plötzliche, starke Schmerzen im rechten Oberbauch, oft ausstrahlend in den RĂŒcken oder rechte Schulter. Dauert 15 Minuten bis mehrere Stunden. Ausgelöst durch fettreiche Mahlzeiten, wenn ein Stein vorĂŒbergehend den Gallenblasenausgang blockiert.
- Ăbelkeit und Erbrechen
- BlĂ€hungen und VöllegefĂŒhl
- FettunvertrÀglichkeit
- Akute Cholezystitis: EntzĂŒndung der Gallenblase durch Steinverschluss mit bakterieller Superinfektion. Symptome: Fieber, anhaltende Schmerzen, Abwehrspannung
- Choledocholithiasis: Stein im Hauptgallengang â Gelbsucht, dunkler Urin, heller Stuhl
- Cholangitis: GallengangentzĂŒndung â lebensbedrohlich! (Charcot-Trias: Fieber, Gelbsucht, Schmerzen)
- Gallenstein-Pankreatitis: Stein blockiert gemeinsame MĂŒndung â BauchspeicheldrĂŒsenentzĂŒndung
- Gallenblasen-Perforation: Sehr selten, aber lebensbedrohlich
7.2 Cholezystitis (GallenblasenentzĂŒndung)
Die Cholezystitis ist eine EntzĂŒndung der Gallenblasenwand, die akut oder chronisch verlaufen kann.
Akute Cholezystitis
In 90-95% der FĂ€lle ist die Ursache ein Steinverschluss des Ductus cysticus (kalkulöse Cholezystitis). Der Verschluss fĂŒhrt zu:
- Stau der Galle in der Gallenblase
- Erhöhter Druck in der Gallenblase
- SchÀdigung der Schleimhaut
- EntzĂŒndungsreaktion (zunĂ€chst steril)
- Bakterielle Besiedlung (in 50-75% der FĂ€lle)
HĂ€ufige Erreger: E. coli, Klebsiellen, Enterokokken, Bacteroides
Klinisches Bild:
- Starke, anhaltende Schmerzen im rechten Oberbauch (>6 Stunden)
- Fieber und SchĂŒttelfrost
- Murphy-Zeichen positiv (SchmerzverstÀrkung beim Einatmen wÀhrend Palpation unter dem rechten Rippenbogen)
- Ăbelkeit, Erbrechen
- Leukozytose, CRP-Erhöhung
Komplikationen:
- GangrÀnöse Cholezystitis (Gewebsnekrose)
- Emphysematöse Cholezystitis (Gasbildung durch Clostridien â hohe MortalitĂ€t!)
- Perforation mit Peritonitis
- Gallenblasenabszess
Chronische Cholezystitis
Entsteht durch wiederholte Episoden milder akuter EntzĂŒndungen oder persistierende mechanische Reizung durch Steine. FĂŒhrt zu:
- Verdickung der Gallenblasenwand
- Fibrose
- Schrumpfung (Porzellangallenblase â Kalkeinlagerungen, prĂ€kanzeröse VerĂ€nderung)
7.3 Cholangitis (GallengangentzĂŒndung)
Die Cholangitis ist eine bakterielle Infektion der GallengÀnge, meist aufgrund einer Obstruktion (Stein, Tumor, Striktur). Sie ist ein potenziell lebensbedrohlicher Notfall!
Charcot-Trias (klassische Symptomtrias):
- Fieber mit SchĂŒttelfrost
- Ikterus (Gelbsucht)
- Schmerzen im rechten Oberbauch
Reynolds-Pentade (bei schwerer Cholangitis):
Charcot-Trias plus:
- Bewusstseinsstörung
- Schock (Sepsis)
Die Cholangitis erfordert sofortige Behandlung mit:
- Breitspektrum-Antibiotika intravenös
- FlĂŒssigkeitssubstitution
- Dringende Drainage der Gallenwege (ERCP oder perkutane Drainage)
7.4 Tumoren der Gallenwege
Gallenblasenkrebs (Gallenblasenkarzinom)
Obwohl relativ selten (1-2% aller Krebserkrankungen), ist das Gallenblasenkarzinom hochmaligne mit schlechter Prognose.
Risikofaktoren:
- Gallensteine (90% der Patienten mit Gallenblasenkrebs haben Steine)
- Porzellangallenblase (Verkalkung der Wand â 25% Krebsrisiko!)
- Chronische Cholezystitis
- Gallenblasenpolypen >10 mm
- PrimÀr sklerosierende Cholangitis
Symptome: Meist erst im fortgeschrittenen Stadium: Oberbauchschmerzen, Gewichtsverlust, Gelbsucht, tastbare Raumforderung
Prognose: 5-Jahres-Ăberlebensrate nur 5-10%, da meist spĂ€t entdeckt
Gallengangskarzinom (Cholangiokarzinom)
Bösartiger Tumor der GallengÀnge, eingeteilt nach Lokalisation:
- Intrahepatisch (10%): In der Leber
- PerihilÀr/Klatskin-Tumor (50-60%): An der Lebergangsgabel
- Distal (30-40%): Im unteren Gallengang
Risikofaktoren:
- PrimÀr sklerosierende Cholangitis (10-15% entwickeln Karzinom)
- ParasitÀre Infektionen (Leberegel in Asien)
- Choledochuszysten
- Chronische Hepatitis B/C
- Leberzirrhose
Symptome: Schmerzlose Gelbsucht, Gewichtsverlust, Juckreiz, acholischer (entfÀrbter) Stuhl
7.5 Weitere Erkrankungen
Gallenblasenpolypen
Gutartige Vorwölbungen der Gallenblasenschleimhaut. HĂ€ufig Cholesterinpolypen (keine echten Polypen, sondern Cholesterineinlagerungen). Ăberwachung empfohlen, da ab 10 mm GröĂe erhöhtes Entartungsrisiko.
Gallenblasenhydrops (Mukozele)
Ansammlung von Schleim in der Gallenblase bei chronischem Verschluss des Ductus cysticus. Die Gallenblase kann stark anschwellen. Infektionsgefahr!
Mirizzi-Syndrom
Seltene Komplikation, bei der ein Stein im Gallenblasengang (Ductus cysticus) oder Infundibulum den Hauptgallengang von auĂen komprimiert und zu Gelbsucht fĂŒhrt.
PrimÀr sklerosierende Cholangitis (PSC)
Chronisch-entzĂŒndliche Erkrankung mit fortschreitender Fibrose und Verengung der GallengĂ€nge. Stark assoziiert mit Colitis ulcerosa (60-80%). FĂŒhrt zu Leberzirrhose und erhöht das Risiko fĂŒr Gallengangskarzinom.
8. Diagnostik von Gallenerkrankungen
Die moderne Diagnostik der Gallenwege umfasst verschiedene Untersuchungsmethoden, die je nach klinischer Fragestellung eingesetzt werden.
8.1 Klinische Untersuchung
Murphy-Zeichen
Der Untersucher legt die Hand unter den rechten Rippenbogen und fordert den Patienten zum tiefen Einatmen auf. Bei Cholezystitis kommt es zu einem plötzlichen Schmerzaufschrei und Atemstillstand, wenn die entzĂŒndete Gallenblase auf die Hand trifft (SensitivitĂ€t 65%, SpezifitĂ€t 87%).
Courvoisier-Zeichen
Tastbare, prall-elastische, nicht schmerzhafte Gallenblase bei gleichzeitiger Gelbsucht spricht fĂŒr einen Tumor im Bereich der Gallenwege (und gegen Steine, da die Gallenblase bei Steinen meist narbig verĂ€ndert ist).
8.2 Labordiagnostik
| Parameter | Normal | Erhöht bei | Bedeutung |
|---|---|---|---|
| Bilirubin (gesamt) | <1,2 mg/dl | Gallenstau, HĂ€molyse | Gelbsucht ab ~2 mg/dl sichtbar |
| Direktes Bilirubin | <0,3 mg/dl | Cholestase, Lebererkrankung | Zeigt hepatische/posthepatische Ursache an |
| AP (Alkalische Phosphatase) | 40-130 U/l | Cholestase | Cholestase-Marker, auch bei Knochenerkrankungen erhöht |
| Îł-GT (Gamma-GT) | <55 U/l (â), <38 U/l (â) | Cholestase, Alkohol | Spezifischer fĂŒr Gallenerkrankungen als AP |
| GOT (AST) | <35 U/l (â), <50 U/l (â) | Leberzellschaden | Bei akuter Cholangitis oft stark erhöht |
| GPT (ALT) | <35 U/l (â), <50 U/l (â) | Leberzellschaden | Spezifischer fĂŒr Leber als GOT |
| Lipase/Amylase | <60 U/l | Pankreatitis | Bei Gallenstein-Pankreatitis erhöht |
| Leukozyten | 4.000-10.000/”l | Cholezystitis, Cholangitis | EntzĂŒndungsparameter |
| CRP | <0,5 mg/dl | EntzĂŒndung allgemein | Bei akuter Cholezystitis oft >10 mg/dl |
- Cholestase: AP und γ-GT deutlich erhöht, Transaminasen normal/leicht erhöht, direktes Bilirubin erhöht
- HepatozellulĂ€r: Transaminasen (GOT, GPT) stark erhöht, AP/Îł-GT nur mĂ€Ăig erhöht
8.3 Bildgebende Verfahren
Sonographie (Ultraschall)
Gold-Standard fĂŒr erste Diagnostik â nicht-invasiv, kostengĂŒnstig, ĂŒberall verfĂŒgbar
Kann erkennen:
- Gallensteine (SensitivitĂ€t 95% fĂŒr Gallenblasensteine)
- Gallenblasenwandverdickung (>3 mm bei Cholezystitis)
- Erweiterte Gallenwege (Normwert: Ductus choledochus <7 mm, +1 mm pro Lebensjahrzehnt nach Cholezystektomie)
- Gallenblasenhydrops
- Pericholezystitische FlĂŒssigkeit
Limitationen:
- Schlechte Darstellung der GallengÀnge
- Gallengangssteine oft nicht sichtbar (SensitivitÀt nur 50%)
- Schwierig bei adipösen Patienten oder DarmgasĂŒberlagerung
CT (Computertomographie)
Besonders wertvoll bei:
- Komplikationen (Perforation, Abszess, Pankreatitis)
- Tumorverdacht
- Unklarem Ultraschallbefund
Vorteil: Ausgezeichnete Darstellung der Anatomie und Komplikationen
Nachteil: Viele Gallensteine sind röntgennegativ (reine Cholesterinsteine), Strahlenbelastung
MRT/MRCP (Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie)
Beste nicht-invasive Darstellung der Gallenwege!
MRCP ist eine spezielle MRT-Sequenz, die FlĂŒssigkeit hell darstellt und somit die Gallenwege und PankreasgĂ€nge wie bei einer Kontrastdarstellung zeigt â aber komplett nicht-invasiv!
Indikationen:
- Verdacht auf Gallengangssteine
- Unklare Cholestase
- Tumorverdacht
- Angeborene Gallengangsanomalien
- PrimÀr sklerosierende Cholangitis
Vorteile:
- Keine Strahlung
- Keine Kontrastmittel nötig
- Exzellente Darstellung der Gallenwege (vergleichbar mit ERCP)
- Kann auch kleine Steine detektieren
Nachteile:
- Teuer
- Zeitaufwendig
- Nicht bei Patienten mit Metallimplantaten
- Klaustrophobie-Problem
ERCP (Endoskopisch Retrograde Cholangiopankreatikographie)
Die ERCP ist sowohl diagnostisch als auch therapeutisch einsetzbar. Ein Endoskop wird ĂŒber Mund, Speiseröhre und Magen bis zum Zwölffingerdarm vorgeschoben. Dort wird Kontrastmittel in die GallengĂ€nge injiziert und Röntgenbilder angefertigt.
Heutzutage hauptsÀchlich therapeutisch:
- Entfernung von Gallengangssteinen (nach Papillotomie)
- Einlage von Stents bei Tumoren oder Strikturen
- Gewebeproben aus GallengÀngen
- Drainage bei Cholangitis
Komplikationen (5-10%):
- Pankreatitis (3-5%, hÀufigste Komplikation)
- Blutung (1-2%)
- Perforation (<1%)
- Cholangitis
Endosonographie (EUS)
Kombination aus Endoskopie und Ultraschall â das UltraschallgerĂ€t sitzt an der Spitze des Endoskops und kann von innen sehr hochauflösende Bilder machen.
Indikationen:
- Kleine Gallengangssteine (Mikrolithiasis), die andere Verfahren ĂŒbersehen
- Tumorstaging (insbesondere Pankreaskopftumoren)
- Gallenblasenpolypen â Differenzierung gutartig/bösartig
- Unklare Gallengangsstenosen
Vorteil: Höchste Auflösung fĂŒr Strukturen nahe dem Magen-Darm-Trakt
Szintigraphie (HIDA-Scan)
Radioaktiv markierte Substanz (Tc-99m-HIDA) wird injiziert, von der Leber aufgenommen und mit der Galle ausgeschieden. Kamera verfolgt den Weg.
Indikationen:
- Akute Cholezystitis (wenn Ultraschall unklar)
- BiliÀre Dyskinesie (Funktionsstörung der Gallenblase)
- Postoperative Gallengangsverletzung oder Leckage
- Neugeborenen-Gelbsucht (Differenzierung Gallengangsatresie vs. Hepatitis)
Interpretation: Fehlende Darstellung der Gallenblase nach 4 Stunden spricht fĂŒr Cholezystitis (Ductus cysticus blockiert)
8.4 Diagnostischer Algorithmus
9. Behandlung von Gallenerkrankungen
Die Therapie richtet sich nach Art und Schwere der Erkrankung. Von konservativen MaĂnahmen ĂŒber medikamentöse Therapie bis zur Operation stehen verschiedene Optionen zur VerfĂŒgung.
9.1 Konservative Therapie
ErnĂ€hrungsmaĂnahmen
- Fettarm essen: Maximal 60-80 g Fett pro Tag, verteilt auf mehrere kleine Mahlzeiten
- Hochwertige Fette bevorzugen: Pflanzliche Ăle (Oliven-, Rapsöl) statt tierische Fette
- RegelmĂ€Ăige Mahlzeiten: 5-6 kleine Mahlzeiten statt 3 groĂe â fördert regelmĂ€Ăige Gallenentleerung
- Vermeiden: Frittiertes, fettes Fleisch, Wurst, Sahne, fette KĂ€sesorten, Mayonnaise, NĂŒsse in groĂen Mengen
- Gut vertrĂ€glich: Mageres Fleisch/Fisch, fettarme Milchprodukte, GemĂŒse, Obst, Vollkornprodukte
- Gewichtsreduktion: Bei Ăbergewicht langsam abnehmen (nicht mehr als 0,5 kg/Woche â schnelles Abnehmen fördert Steinbildung!)
Medikamentöse Schmerztherapie
- Spasmolytika: Butylscopolamin (Buscopan) löst KrÀmpfe der Gallenblase und Gallenwege
- Analgetika: Metamizol (Novalgin) oder Paracetamol. CAVE: Kein Morphin (erhöht Sphinkter-Oddi-Tonus!), bevorzugt Pethidin wenn Opiate nötig
- NSAIDs: Diclofenac, Ibuprofen â wirken schmerzlindernd und entzĂŒndungshemmend
9.2 Medikamentöse Steinauflösung
UrsodeoxycholsÀure (UDCA)
Eine GallensÀure, die oral eingenommen wird und Cholesterinsteine auflösen kann. Sie verÀndert die Zusammensetzung der Galle und macht sie weniger lithogen.
Voraussetzungen fĂŒr erfolgreiche Therapie:
- Reine Cholesterinsteine (nicht verkalkt â im Röntgen röntgennegativ)
- Steine <15 mm Durchmesser
- Funktionierende Gallenblase
- Nicht zu viele Steine (FĂŒllungsdefekt <50% des Gallenblaseninhalts)
- Keine akute Cholezystitis
Dosierung: 10-15 mg/kg Körpergewicht tÀglich, abends einnehmen
Dauer: 6-24 Monate (Geduld erforderlich!)
Erfolgsrate: Nur 30-50% bei optimaler Patientenselektion. Rezidivrate nach Absetzen: 50% nach 5 Jahren
Vorteile:
- Nicht-invasiv
- Wenig Nebenwirkungen
- Kann langfristig zur Prophylaxe verwendet werden
Nachteile:
- Lange Behandlungsdauer
- Geringe Erfolgsrate
- Nur fĂŒr ausgewĂ€hlte Patienten geeignet
- Hohe Rezidivrate
9.3 Extrakorporale StoĂwellenlithotripsie (ESWL)
Ăhnlich wie bei Nierensteinen können StoĂwellen von auĂen auf die Steine gerichtet werden, um sie zu zertrĂŒmmern.
Selten verwendet bei Gallensteinen, da:
- Nur fĂŒr Einzelsteine <20 mm geeignet
- Oft kombiniert mit UDCA zur Auflösung der Fragmente nötig
- Erfolgsrate nur 60-70%
- Rezidivrate hoch
- Operation meist die bessere Option
9.4 Endoskopische Therapie
ERCP mit Steinextraktion
Das Standardverfahren zur Entfernung von Gallengangssteinen!
Ablauf:
- Papillotomie (EPT): Mit einem elektrochirurgischen Messer wird die Papilla Vateri (MĂŒndung des Gallengangs) eingeschnitten, um den Zugang zu erweitern
- Steinextraktion: Mit einem Ballonkatheter oder Körbchen werden die Steine herausgezogen
- Bei groĂen Steinen: Mechanische oder elektrische Lithotripsie (ZertrĂŒmmerung) unter endoskopischer Sicht
- Stent-Einlage: Bei Bedarf wird ein Plastik- oder Metallstent eingelegt, um den Gallefluss zu sichern
Erfolgsrate: 85-95% bei Steinen <15 mm
Indikationen:
- Gallengangssteine (Choledocholithiasis)
- Akute Cholangitis (Notfall!)
- BiliÀre Pankreatitis
- Ikterus durch Gangverschluss
9.5 Chirurgische Therapie
Laparoskopische Cholezystektomie (SchlĂŒsselloch-Chirurgie)
Gold-Standard fĂŒr symptomatische Gallensteine!
Dies ist die hÀufigste abdominalchirurgische Operation in Deutschland (ca. 175.000 pro Jahr).
Ablauf der Operation:
- Anlage der Trokare: 4 kleine Schnitte (5-10 mm) im Bauchraum
- Pneumoperitoneum: Aufblasen des Bauchraums mit COâ-Gas fĂŒr bessere Sicht
- Darstellung: Identifikation von Ductus cysticus (Gallenblasengang) und A. cystica (Gallenblasenarterie)
- Clippen und Durchtrennung: Sicheres VerschlieĂen und Absetzen von Gang und Arterie
- Ablösung: Herauslösen der Gallenblase aus dem Leberbett
- Bergung: Entfernung der Gallenblase durch einen der Hautschnitte
OP-Dauer: 45-90 Minuten
Krankenhausaufenthalt: 1-3 Tage
ArbeitsunfÀhigkeit: 1-2 Wochen
Vorteile gegenĂŒber offener Operation:
- Kleinere Schnitte â bessere Kosmetik
- Weniger Schmerzen postoperativ
- KĂŒrzerer Krankenhausaufenthalt
- Schnellere Rekonvaleszenz
- Geringere Infektionsrate
- Weniger NarbenbrĂŒche
Komplikationen (insgesamt selten, <5%):
- Gallengangsverletzung (0,3-0,7%) â ernste Komplikation!
- Blutung
- Galleleckage
- Infektion
- Umstieg auf offene Operation bei schwierigen anatomischen VerhÀltnissen (2-5%)
Offene Cholezystektomie
Wird heute nur noch durchgefĂŒhrt bei:
- Komplikationen der laparoskopischen Operation
- Nicht kontrollierbarer Blutung
- Gallenblasenkrebs-Verdacht (Schnellschnitt intraoperativ)
- Schweren Verwachsungen oder entzĂŒndlich verĂ€nderter Anatomie
Schnitt im rechten Oberbauch (ca. 15 cm), lÀngerer Krankenhausaufenthalt (5-7 Tage), lÀngere Rekonvaleszenz (4-6 Wochen).
Timing der Operation
Elektive (geplante) Operation:
- Bei symptomatischen Gallensteinen (rezidivierende Koliken)
- Bei Komplikationen in der Vorgeschichte
- Bei Polypen >10 mm (Krebsrisiko)
- Bei Porzellangallenblase (hohes Krebsrisiko)
Dringlich/Notfall:
- Akute Cholezystitis: FrĂŒh-Operation (innerhalb 24-72 Stunden) oder verzögert nach 6 Wochen (nach Abklingen der akuten EntzĂŒndung)
- Gallenblasenempyem (Eiteransammlung)
- Perforation
9.6 Leben ohne Gallenblase
Die Gallenblase ist nicht lebensnotwendig. Nach der Entfernung ĂŒbernimmt die Leber die kontinuierliche Galleproduktion, und die Galle flieĂt direkt in den Darm.
Was Àndert sich?
Positive Effekte:
- Keine Gallenkoliken mehr
- Kein Risiko fĂŒr Cholezystitis mehr
- Kein Gallenblasenkrebs-Risiko mehr
Mögliche Beschwerden (10-30% der Patienten):
- Durchfall (hĂ€ufigste Beschwerde): Durch kontinuierlichen Gallefluss gelangen mehr GallensĂ€uren in den Dickdarm â Stimulation der Sekretion
- BlÀhungen
- FettunvertrÀglichkeit bei sehr fettreichen Mahlzeiten (fehlende Speicherfunktion der Gallenblase)
- Postcholezystektomie-Syndrom (PCS): Bei etwa 5-10% persistieren oder entwickeln sich neue Beschwerden (Schmerzen, Verdauungsprobleme). Ursachen können sein: ĂŒbersehene Gallengangssteine, Sphinkter-Oddi-Dysfunktion, Reizdarmsyndrom
Anpassung der Lebensweise
- In den ersten Wochen fettarme Kost (20-40 g Fett/Tag)
- Mehrere kleine Mahlzeiten ĂŒber den Tag verteilt (5-6 statt 3)
- Langsame Steigerung der Fettmenge ĂŒber Wochen/Monate
- Ballaststoffreiche ErnĂ€hrung (bindet ĂŒberschĂŒssige GallensĂ€uren im Darm)
- Bei persistierendem Durchfall: Cholestyramin (GallensÀurebinder) kann helfen
- Viele Patienten können nach 3-6 Monaten wieder normal essen
Langzeitfolgen: Studien zeigen leicht erhöhtes Risiko fĂŒr:
- Dickdarmkrebs (wahrscheinlich durch vermehrte GallensÀuren im Kolon)
- Metabolisches Syndrom
- Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD)
Trotzdem: Die Vorteile der Operation ĂŒberwiegen bei symptomatischen Gallensteinen deutlich die Risiken!
10. PrÀvention von Gallenerkrankungen
WĂ€hrend manche Risikofaktoren nicht beeinflussbar sind (Alter, Geschlecht, Genetik), können viele MaĂnahmen das Risiko fĂŒr Gallensteine und andere Gallenerkrankungen senken.
10.1 ErnÀhrung
Schutzfaktoren
Kaffee: Studien zeigen, dass regelmĂ€Ăiger Kaffeekonsum (2-3 Tassen/Tag) das Gallensteinrisiko um 20-30% senkt. Sowohl koffeinhaltiger als auch entkoffeinierter Kaffee wirken protektiv. Mechanismus: Stimulation der Gallenblasenkontraktion und Verminderung der Cholesterinsekretion in die Galle.
Ballaststoffe: Hohe Ballaststoffzufuhr (besonders lösliche Ballaststoffe aus Obst, GemĂŒse, HĂŒlsenfrĂŒchten) senkt das Risiko um etwa 15%. Mechanismus: Bindung von GallensĂ€uren im Darm â gesteigerte Neusynthese â Cholesterinverbrauch.
NĂŒsse: RegelmĂ€Ăiger Verzehr von NĂŒssen (5x pro Woche, ca. 30 g) reduziert das Gallensteinrisiko um 25-30%.
Vitamin C: Ausreichende Vitamin-C-Zufuhr senkt das Risiko, besonders bei Frauen.
Mehrfach ungesĂ€ttigte FettsĂ€uren: Omega-3-FettsĂ€uren aus Fisch und pflanzlichen Ălen wirken protektiv.
Magnesium: Ausreichende Magnesiumzufuhr (grĂŒnes GemĂŒse, Vollkorn, NĂŒsse) senkt das Risiko.
Risikofaktoren
Schnelle Gewichtsabnahme: Verlust von >1,5 kg/Woche erhöht das Steinrisiko massiv! Bei Fastenkuren oder nach bariatrischer Chirurgie (Magenbypass) entwickeln 30-50% Gallensteine. Daher: prophylaktische UDCA-Gabe bei rascher Gewichtsabnahme erwÀgen.
Raffinierte Kohlenhydrate und Zucker: Hoher Konsum von WeiĂmehl, SĂŒĂigkeiten, zuckerhaltigen GetrĂ€nken erhöht das Risiko.
GesÀttigte Fette und Trans-Fette: Fast Food, industriell verarbeitete Lebensmittel, fettes Fleisch erhöhen das Steinrisiko.
Ideale "Gallenschutz-ErnÀhrung"
- Viel GemĂŒse, Obst, HĂŒlsenfrĂŒchte
- Vollkornprodukte statt WeiĂmehl
- Olivenöl als Hauptfettquelle
- Fisch 2-3x pro Woche
- NĂŒsse und Samen tĂ€glich in kleinen Mengen
- Moderate Mengen GeflĂŒgel und Milchprodukte
- Wenig rotes Fleisch
- Moderater Kaffeekonsum
10.2 Körpergewicht
Das VerhÀltnis zwischen Körpergewicht und Gallensteinrisiko folgt einer U-förmigen Kurve:
- Ăbergewicht/Adipositas: Erhöhtes Risiko (BMI >30: 2-3faches Risiko)
- Normalgewicht: Niedrigstes Risiko (BMI 20-25)
- Untergewicht: Erhöhtes Risiko
Wichtig: Wenn Gewichtsreduktion nötig ist, dann langsam (0,5 kg pro Woche maximal) und mit ausreichend Fett in der ErnÀhrung (mindestens 10 g Fett pro Mahlzeit zur Stimulation der Gallenblasenentleerung)!
10.3 Körperliche AktivitÀt
RegelmĂ€Ăige Bewegung senkt das Gallensteinrisiko erheblich:
- 30 Minuten moderate AktivitĂ€t pro Tag â 20% Risikoreduktion
- 5 Stunden Sport pro Woche â 30-40% Risikoreduktion
Mechanismen:
- Verbesserung der InsulinsensitivitÀt
- Senkung der Triglyceride
- Förderung der Gallenblasenentleerung
- Gewichtskontrolle
Art der AktivitĂ€t scheint weniger wichtig zu sein â Hauptsache regelmĂ€Ăig und ausreichend intensiv!
10.4 Medikamente
Risikoerhöhende Medikamente
Ăstrogene: Antibabypille und Hormonersatztherapie erhöhen das Gallensteinrisiko um 50-100%. Besonders hoch dosierte PrĂ€parate. Wenn möglich niedrig dosierte PrĂ€parate oder östrogen-freie VerhĂŒtungsmethoden erwĂ€gen.
Fibrate: Lipidsenker wie Clofibrat erhöhen das Steinrisiko durch Steigerung der Cholesterinsekretion in die Galle.
Ceftriaxon: Dieses Antibiotikum wird teilweise ĂŒber die Galle ausgeschieden und kann, besonders bei hohen Dosen, zu "Pseudosteinen" (Ceftriaxon-Calcium-AusfĂ€llungen) fĂŒhren. Diese verschwinden meist nach Absetzen.
Octreotid/Somatostatin: Bei Akromegalie-Patienten erhöhtes Steinrisiko.
Risikovermindernde Medikamente
Statine: Cholesterinsenker (Atorvastatin, Simvastatin) senken das Gallensteinrisiko um etwa 20-30% durch Reduktion der Cholesterinsekretion in die Galle.
UDCA: Kann prophylaktisch bei Hochrisikosituationen gegeben werden (z.B. bei schneller Gewichtsabnahme nach bariatrischer Operation).
10.5 Weitere Empfehlungen
RegelmĂ€Ăige Mahlzeiten: Auslassen von Mahlzeiten, besonders des FrĂŒhstĂŒcks, fĂŒhrt zu verlĂ€ngerter Stase der Galle in der Gallenblase und erhöht das Steinrisiko. Mindestens 3 Mahlzeiten pro Tag!
Ausreichend FlĂŒssigkeit: 1,5-2 Liter Wasser pro Tag. Dehydrierung begĂŒnstigt Steinbildung.
Alkohol in MaĂen: Moderater Alkoholkonsum (1 Glas Wein pro Tag) scheint protektiv zu sein. Exzessiver Konsum erhöht jedoch das Risiko fĂŒr Lebererkrankungen, die wiederum Gallensteine begĂŒnstigen.
Rauchstopp: Rauchen erhöht das Risiko fĂŒr Gallenblasenkrebs und sollte vermieden werden.
- Normalgewicht anstreben und halten (langsame Gewichtsabnahme wenn nötig)
- Mediterrane ErnĂ€hrung mit viel GemĂŒse, Vollkorn, gesunden Fetten
- RegelmĂ€Ăige körperliche AktivitĂ€t (mindestens 30 Min/Tag)
- RegelmĂ€Ăige Mahlzeiten, nicht fasten
- TĂ€glicher moderater Kaffeekonsum
11. Aktuelle Forschung und Zukunftsperspektiven
Die Forschung im Bereich der Gallenwege ist sehr aktiv. Neue Erkenntnisse und TherapieansÀtze werden stÀndig entwickelt.
11.1 Genetik der Gallensteinerkrankung
Genom-weite Assoziationsstudien (GWAS) haben mehrere genetische Varianten identifiziert, die das Gallensteinrisiko beeinflussen:
- ABCG8-Gen: Kodiert einen Cholesterin-Transporter. Varianten fĂŒhren zu erhöhter Cholesterinsekretion in die Galle
- UGT1A1-Gen: Beeinflusst den Bilirubin-Stoffwechsel. Mutationen können zu Pigmentsteinen fĂŒhren
- SULT2A1-Gen: Beteiligt am GallensÀuren-Metabolismus
ZukĂŒnftig könnten genetische Risiko-Scores zur Identifikation von Hochrisiko-Patienten verwendet werden, bei denen intensive PrĂ€ventionsmaĂnahmen sinnvoll sind.
11.2 Mikrobiom und Gallenerkrankungen
Neuere Forschungen zeigen, dass die Galle entgegen frĂŒherer Annahmen nicht steril ist. Es existiert ein eigenes Gallenmikrobiom, das bei Gallensteinpatienten verĂ€ndert ist.
Bestimmte Bakterien können:
- GallensĂ€uren dekonjugieren â AusfĂ€llung von Calcium-Bilirubinat â Pigmentsteinbildung
- ÎČ-Glucuronidase produzieren â Bilirubin-Dekonjugation
- Chronische EntzĂŒndungen fördern
Zukunftsperspektive: Modulation des Gallenmikrobioms durch Probiotika oder spezifische Antibiotika zur SteinprÀvention?
11.3 Neue medikamentöse AnsÀtze
FXR-Agonisten (Farnesoid X Receptor)
FXR ist ein Kernrezeptor, der den GallensÀuren-Stoffwechsel reguliert. Neue Medikamente wie Obeticholic Acid aktivieren FXR und:
- Reduzieren die GallensÀuren-Synthese
- Fördern den enterohepatischen Kreislauf
- Verbessern die InsulinsensitivitÀt
Bereits zugelassen fĂŒr primĂ€r biliĂ€re Cholangitis, in Studien auch fĂŒr NASH (nicht-alkoholische Steatohepatitis).
ASBT-Inhibitoren
Blockade des GallensĂ€uren-Transporters im terminalen Ileum fĂŒhrt zu verminderter Reabsorption und vermehrter Ausscheidung von GallensĂ€uren. Könnte therapeutisch bei:
- Cholesterin-Senkung
- PrimÀr sklerosierender Cholangitis
- NASH
11.4 Minimal-invasive Verfahren
NOTES (Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery)
Cholezystektomie durch natĂŒrliche Körperöffnungen (Mund, Vagina) ohne Ă€uĂere Hautschnitte. Noch experimentell, aber vielversprechend fĂŒr kosmetische Ergebnisse und schnellere Erholung.
Roboter-assistierte Chirurgie
Da-Vinci-Robotersystem ermöglicht prÀzisere Operationen mit besserer 3D-Visualisierung und beweglicheren Instrumenten. Vorteile:
- Bessere Ergonomie fĂŒr den Chirurgen
- PrÀzisere PrÀparation
- Möglicherweise weniger Komplikationen
Nachteil: Sehr teuer, bisher kein klarer Vorteil gegenĂŒber konventioneller Laparoskopie nachgewiesen.
11.5 KĂŒnstliche Intelligenz in der Diagnostik
Machine-Learning-Algorithmen werden entwickelt zur:
- Automatischen Detektion von Gallensteinen im Ultraschall
- Risiko-Stratifizierung (wer braucht OP, wer kann konservativ behandelt werden?)
- FrĂŒherkennung von Gallenblasenkrebs
- Vorhersage von Komplikationen
Erste Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse mit SensitivitĂ€t/SpezifitĂ€t ĂŒber 90% fĂŒr Steindetektio n.
11.6 Tissue Engineering und Organersatz
Forschung an bioartifiziellen Gallenblasen aus patienteneigenen Zellen. Langfristige Vision: Ersatz der Gallenblase statt Entfernung bei jungen Patienten oder bei Patienten mit Post-Cholezystektomie-Syndrom.
Noch weit von klinischer Anwendung entfernt, aber technologisch machbar in den nÀchsten 10-20 Jahren.
12. Zusammenfassung und Fazit
Die Galle und die Gallenwege sind faszinierende Komponenten unseres Verdauungssystems, deren Bedeutung oft unterschÀtzt wird. Obwohl klein und unscheinbar, spielt die Gallenblase eine wichtige Rolle in der Fettverdauung und dem Cholesterinmetabolismus.
Wichtigste Erkenntnisse
- Die Leber produziert tÀglich 600-1200 ml Galle
- Die Gallenblase konzentriert die Galle 5-20fach und speichert sie fĂŒr die fettreiche Mahlzeit
- GallensÀuren sind der Hauptbestandteil und ermöglichen die Emulgierung und Verdauung von Fetten
- Der enterohepatische Kreislauf recycelt 95% der GallensĂ€uren â ein geniales Beispiel fĂŒr biologische Effizienz
- Gallensteine sind extrem hÀufig (15-20% der Erwachsenen), aber nur 20-40% werden symptomatisch
- Die laparoskopische Cholezystektomie ist ein sicheres und effektives Verfahren mit exzellenten Langzeitergebnissen
- Leben ohne Gallenblase ist gut möglich â die meisten Patienten haben keine oder nur vorĂŒbergehende Beschwerden
- PrÀvention durch gesunde ErnÀhrung, Normalgewicht und Bewegung ist möglich und effektiv
Offene Fragen und Herausforderungen
Trotz groĂer Fortschritte bleiben Fragen offen:
- Warum entwickeln manche Menschen mit denselben Risikofaktoren Steine, andere nicht? Die genetische Komponente ist noch nicht vollstÀndig verstanden.
- Kann man Gallensteinbildung medikamentös verhindern? UDCA funktioniert nur bedingt; bessere Medikamente werden benötigt.
- Wie kann das Post-Cholezystektomie-Syndrom verhindert werden? Bei 5-10% persistieren Beschwerden nach der Operation â warum?
- Könnte die Gallenblase in Zukunft erhalten statt entfernt werden? Neue minimal-invasive Therapien zur Steinentfernung unter Erhalt der Gallenblase sind in Entwicklung.
Praktische RatschlÀge
- Keine Operation nötig bei asymptomatischen Steinen (Ausnahme: Hochrisikosituationen)
- Gesunde ErnÀhrung und Gewichtskontrolle
- RegelmĂ€Ăige Mahlzeiten
- Bei Symptomen (Koliken): zeitnahe chirurgische Evaluation
- ZunÀchst fettarme Kost, langsame Steigerung
- Mehrere kleine Mahlzeiten
- Die meisten können nach 3-6 Monaten wieder normal essen
- Bei persistierenden Beschwerden: Àrztliche AbklÀrung
- Mediterrane ErnÀhrung
- Normalgewicht (bei Abnahme: langsam!)
- RegelmĂ€Ăige Bewegung
- Moderater Kaffeekonsum
- Keine extremen DiÀten oder Fastenkuren
Schlusswort
Die Gallenblase mag ein kleines Organ sein, aber ihre Funktion ist komplex und ihre Erkrankungen sind hĂ€ufig. Das VerstĂ€ndnis der Anatomie, Physiologie und Pathologie der Gallenwege ist essentiell fĂŒr Ărzte und hilfreich fĂŒr Patienten.
Die gute Nachricht: Die meisten Gallenerkrankungen sind heute gut behandelbar. Die laparoskopische Cholezystektomie ist eine der sichersten Operationen ĂŒberhaupt, und ein Leben ohne Gallenblase ist fĂŒr die allermeisten Menschen problemlos möglich.
Mit gesunder LebensfĂŒhrung können viele Gallenprobleme von vornherein vermieden werden â ein weiteres Beispiel dafĂŒr, wie PrĂ€vention der beste Weg zur Gesundheit ist.